Den Stadtteil gestalten – Interview mit den Stadtteilfonds Johannstadt und Pieschen

Die Stadtteile Dresdens leben von den Ideen und dem Engagement ihrer Bewohner*innen. Das Zukunftsstadtprojekt „Stadtteilfonds und –beiräte für nachhaltige und aktive Nachbarschaften“ hat zwar einen recht sperrigen Namen, möchte aber vor allem eins: in den Modellstadtteilen Johannstadt und Pieschen Süd/Mickten nachhaltige Projektideen in den jeweiligen Stadtteilen durch die Bewohner*innen unterstützen und finanziell fördern sowie die Mitbestimmung der Bürger*innen in den jeweiligen Regionen erhöhen. So soll ein buntes Stadtteilleben umgesetzt werden.

Konkret sind die Stadtteilfonds ist ein Topf mit Geld, aus dem Projekte von Bürger*innen und Einrichtungen zur Verbesserung der Lebensqualität und einer nachhaltigen Entwicklung des Stadtteils gefördert werden können. Welche Projekte eine Zuwendung erhalten können, beschließt der Stadtteilbeirat in seinen öffentlichen Sitzungen. Die Mittel dafür stammen von der Landeshauptstadt aus dem Stadtbezirksbudget für stadtteilbezogene Vorhaben sowie von privaten Spender*innen.

Hinter den Stadtteilfonds und –beiräten steht jeweils ein Verein, der die Stadtteilarbeit unterstützt: Heidi Geiler vom Pro Pieschen e.V. und Torsten Görg vom Stadtteilverein Johannstadt e.V. standen jeweils für ein Interview zur Verfügung, um euch das Konzept der Stadtteilfonds und –beiräte näher zu bringen.

Wer bist du und warum engagierst du dich bei den Stadtteilfonds?

© Sascha Geiler

Heidi Geiler (Pieschen Süd/Mickten): Ich bin 1984 in Pieschen gestrandet und habe etwas gebraucht hier anzukommen. Geholfen haben mir das nachbarschaftliche Zusammenleben in diesem Stadtteil, die unverblümte Ansprache und die Wende. Irgendwann fühlte ich mich hier zu Hause. Das alles führte dazu, dass ich mich mit anderen 1993 im Verein Pro Pieschen zusammenschloss, um unseren Stadtteil mitzugestalten. Meine Tätigkeiten in Kultureinrichtungen des Stadtteils, später im Stadtplanungsamt vertieften das Verständnis für Prozesse in einer Stadt und halfen mir auch bei der Vereinsarbeit. Mittlerweile befinde ich mich im Unruhestand und hoffe darauf, das junge Pieschner*innen Lust darauf haben sich zu engagieren, möglicherweise in unserem Verein.

Torsten Görg (Johannstadt): Ich bin Torsten Görg und wohne im Gründerzeitviertel der Johannstadt. Als ich 2013 hierherzog, traf ich auf eine lebendige Nachbarschaft, wie ich zuvor keine kennengelernt hatte. Das motivierte mich, gemeinsam etwas zu gestalten. Auf die Gründung von BewusstSinn e.V. und Kornkreise Dresden folgten zahlreiche Workshops und Aktionen für eine nachhaltige Stadtteilentwicklung. Als Mitarbeiter im Quartiersmanagement widme ich mich seit 2017 auch beruflich der Stadtteilarbeit und konnte in diesem Rahmen die Gründung des Stadtteilvereins Johannstadt e.V. sowie die Einrichtung des Stadtteilfonds und Stadtteilbeirates unterstützten.
Heute engagiere ich mich in dem Projekt aus der Überzeugung heraus, dass das Gefühl der Selbstwirksamkeit beim Einzelnen ein Schlüssel zu einer lebendigen und demokratischen Stadtgesellschaft ist.

Was ist ein Stadtteilfonds und welchen Nutzen hat dieser für die Bürger*innen?

Heidi: Die Idee entstand im Zukunftsstadtprozess. Die Erfahrungen mit dem Förderprogramm „Soziale Stadt“ in der nördlichen Johannstadt, veranlassten den Quartiersmanager Matthias Kunert das Projekt Stadtteilfonds zu entwickeln: Mit einem Budget, über dessen Verteilung Menschen aus dem Viertel gemeinschaftlich entscheiden, werden Projekte ermöglicht, die zur nachhaltigen Entwicklung des Stadtteils und der Nachbarschaften beitragen. Die Förderung durch die Zukunftsstadt ermöglicht uns bis 2021 dieses Projekt durchzuführen und wie in einem Labor damit zu experimentieren. Ziel ist es, das Projekt auf die gesamte Stadt zu übertragen. Die Gelder für die eigentlichen Projekte in den Stadtteilen Pieschen Süd und Mickten werden uns übrigens aus dem Haushalt des Stadtbezirkes Pieschen zur Verfügung gestellt.

Torsten: Der Nutzen für die Bürger*innen besteht darin, eigene Ideen zur Gestaltung des Stadtteils umsetzen zu können. Zudem können in der Johannstadt wohnende oder arbeitende für den Stadtteilbeirat kandidieren, um selbst über wichtige Themen des Stadtteils beraten und über Projektförderungen mitentscheiden zu können. Auf diese Weise können sich die Johannstädter*innen aktiv an der Entwicklung des Stadtteils beteiligen.

Gibt es noch weitere Stadtteilfonds und wie eng arbeitet ihr zusammen?

Heidi: Es gibt neben unserem Stadtteilfonds für die Stadtteile Pieschen Süd und Mickten den Stadtteilfonds Johannstadt. Matthias Kunert, Quartiersmanager in der nördlichen Johannstadt, ist Initiator und hat, immer unter Einbeziehung von an dem Projekt Interessierten, den Stadtteilfonds maßgeblich entwickelt. Unsere Vereinsmitglieder Christine Swaboda, Bärbel Jansen und Heidemarie Franzke waren mit daran beteiligt. Sie haben mich letztlich davon überzeugt, Pro Pieschen an diesem Experiment teilhaben zu lassen. Ich war skeptisch, da ich ahnte was das für einen Aufwand bedeutet. Aber die uneingeschränkte Unterstützung durch Matthias Kunert und den Stadtteilverein Johannstadt, welcher dort Projektträger ist, hat es uns ermöglicht einzusteigen. Es ist eine äußerst kollegiale und enge Zusammenarbeit. Wir dürfen von allen Erfahrungen und Arbeitsmitteln des Stadtteilfonds nutznießen und profitieren enorm davon.

Was muss man tun, um bei euch ein Projekt fördern zu lassen?

Torsten für den Stadtteilfonds Johannstadt: Man muss zuerst eine Idee entwickeln, die die Lebensqualität in der Johannstadt erhöht und zu einer nachhaltigen Stadtteilentwicklung beiträgt. Bei Bedarf bieten wir Beratung an und helfen beim Ausfüllen eines einfachen Projektantrages. Dieser wird anschließend geprüft und dem Stadtteilbeirat zusammen mit einem Beschlussvorschlag vorgelegt. Dieser entscheidet dann in einer Abstimmung, ob und in welchem Umfang das Projekt gefördert wird. Anschließend setzt man das Projekt um und erhält nach Einreichen eines Verwendungsnachweises die förderfähigen Auslagen in der beschlossenen Höhe erstattet. Genaueres regelt die Richtlinie zum Stadtteilfonds. Weitere Infos unter www.johannstadt.de/stadtteilverein/stadtteilfonds.

Heidi für den Stadtteilfonds Pieschen Süd/ Mickten: Man muss Einwohner*in von Pieschen Süd oder Mickten sein. Das Projekt sollte zu mehr Lebensqualität und einer nachhaltigen Stadtteilentwicklung beitragen, keine Gewinnerzielung beabsichtigen, im öffentlichen Interesse liegen und noch nicht gestartet sein. Priorität haben die Aspekte der Nachhaltigkeit: natürliche Lebensgrundlagen nachhaltig nutzen, keine wirtschaftlichen Nachteile hinterlassen und ein soziales, friedliches Miteinander.

Wer kommt zu euch und was für Anträge habt ihr bisher gefördert?

Heidi: Überwiegend kommen bisher Anträge von Einrichtungen, Vereinen zu deren Praxis es gehört Anträge zu stellen. Den geringeren Anteil stellen bisher Privatpersonen. Das wollen wir ändern, auch mit der Projektwerkstatt am 1. September (Informationen über Zukunftsstadt oder Pro Pieschen e.V.). Im vorigen Jahr konnten wir 13 Projekte bewilligen. Unter anderem waren das „Advent in Pieschen“, Errichtung eines Unterstandes für den Mehrgenerationengarten „Aprikosen für alle“, ein Lastenrad für Pieschen, Lebensmittel-Fairteiler für foodsharing, Bienenhaltung im Gemeinschaftsgarten Weltchen, Erste-Hilfe-Ausbildung für Kinder.

Torsten: Antragsberechtigt sind Privatpersonen, Vereine, Verbände, Gruppen und Initiativen, öffentliche Einrichtungen sowie freie Träger, die Aufgaben im öffentlichen Interesse erfüllen und / oder gemeinnützig arbeiten. Insgesamt hat der Stadtteilbeirat seit Juli 2019 bereits für 27 Projekte eine Förderung beschlossen, darunter der Bienengarten Johannstadt, ein Hofflohmarkt-Fest, ein Lötkurs für technisch Interessierte und die Generationenrikscha. Alle Projekte unter www.johannstadt.de/typ/stadtteilfondsprojekte.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft Dresdens?

Heidi: Mehr Mut bei Entscheidungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung und dem Beschreiten neuer ungewöhnlicher Wege! Mehr Mut überhaupt!!! Bildungschancen für alle, insbesondere für die Kinder, welche durch ihre Familien nicht gut unterstützt werden können! Mehr Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen in den Schulen! Kein Schüren von Ängsten vor Menschen aus anderen Kulturen! Kein Schüren von Ängsten überhaupt, sondern Probleme da konstruktiv lösen wo sie sind!!! Eine offene, neugierige und gastfreundliche Einwohnerschaft! Mehr gute Möglichkeiten zum frühzeitigen Mitgestalten und Mitentscheiden bei wichtigen Projekten in der Stadt und den Stadtteilen. Das Sachsenbad in städtischer Hand behalten und es als Gesundheitsbad zum Nutzen aller sanieren! Stärkung der Ortsteilzentren, in unserem Fall der Oschatzer Straße! Nachwuchs für unsere Vereinsarbeit!

Torsten: Dresden – Die Stadt der gelebten Bürger*innenbeteiligung und Vorbild für nachhaltige Stadtentwicklung.


Die Zusammenarbeit mit den Stadtbezirksämtern ist sehr eng. Die jeweiligen Amtsleiter fördern und unterstützen die Arbeit der Stadtteilfonds. Herr Christian Wintrich – Stadtbezirksamtsleiter Klotzsche/ Pieschen sagt dazu: „Für mich hat der Stadtteilfonds eine hohe Bedeutung, da mit diesem Stadtteilfonds niederschwellig, zielgerichtet und nachhaltig Projektideen für die im Stadtteil lebenden Bürger*innen umgesetzt werden können. Die Umsetzung erfolgt durch ein Gremium, in welchem unterschiedliche Akteure der Stadtteilgesellschaft (Verwaltung, Politik, Initiativen, gewählten Vertreter, Bürger) gemeinsam über konkrete, dem Stadtteil zugute kommende, Projekte entscheiden.“

André Barth, Stadtbezirksamtsleiter Altstadt/ Neustadt ergänzt: „Die Stadtteilfonds und -beiräte sind ein Instrument zur Selbstorganisation und Selbstentscheidung der Bewohner*innen des Stadtteils. Sie können über die zur Verfügung gestellten Mittel selbstständig befinden. Damit machen sie Demokratie erlebbar und fördern bürgerschaftliches Engagement. Die Stadtteilbeiräte können unbürokratischer agieren als es eine Stadtverwaltung oder ein Stadtrat kann. So können Projekte der Bürger*innen schnell und unkompliziert bewilligt und umgesetzt werden. Das hat dann natürlich auch einen identitätsstiftenden Aspekt, wenn die Bewohner*innen ihren Stadtteil selber gestalten können.“

Die Stadtbezirksämter unterstützen die Stadtteilfonds des Weiteren vor allem organisatorisch, beispielsweise bei der Antragsbearbeitung und Bewilligung. Auch inhaltlich beraten sie das Gremium hinsichtlich der inhaltlichen Plausibilität der Projekte.