Die Rolle freier Software für die digitale Zusammenarbeit

Interview mit Robert Wartenberg vom Chaos Computer Club Dresden

Viele beschäftigen sich gerade mit der Frage, wie digitale Zusammenarbeit funktionieren kann.  Auch wir sind auf der Suche nach den passenden Anwendungen und haben dazu einen Experten interviewt. Robert Wartenberg vom Chaos Computer Club Dresden erklärt, worauf Institutionen und Organisationen achten sollten und welche Rolle freie Software für die digitale Zusammenarbeit spielt. 

1.)  Es gibt eine Fülle von Software. Wie soll man sich da zurecht finden und worauf kommt es bei der Auswahl an?
Ohne zu testen, wird niemand eine qualifizierte Entscheidung treffen können. Daher ist es gut, sich verschiedene Produkte anzusehen und in einem realistischen Szenario (mit mehreren Teilnehmer*innen und verschiedenen Geräten) zu testen.
Eine gewisse Frustrationstoleranz sollten sich aber alle zugestehen, denn ohne Probleme ist keine der existierenden Lösungen. Und sehr abhängig vom Aufbau der eigenen Organisation und den bestehenden technischen Infrastrukturen, kann es bei der einen sehr gut und bei der anderen gar nicht funktionieren.
 
Minimal-Lösungen mit bedenken
 
Es sollte auch immer eine sogenannte fall-back-Lösung bzw. Minimal-Lösung mitbedacht werden. Also die Antwort auf die Frage, was machen wir, wenn das geplante Tool zum verabredeten Zeitpunkt nicht funktioniert? Dafür eignen sich zum Beispiel einfache Chat-Räume. Oder wer sagt denn, dass kleine Gruppen sich nicht einfach immer erst per Telefon-Konferenz zusammenschalten und danach weitere Schritte mit Video- oder Bildschirmübertragung gemeinsam gehen? Die Telefon-Technik funktioniert verlässlich, sie ist allen Teilnehmer*innen bekannt und niemand bleibt außen vor wegen technischer Komplikationen.
 
Nicht nur auf eine Lösung bauen
 
Auch ein Tipp aus der IT vieler erfolgreicher Unternehmen ist es, nicht nur auf eine Lösung zu bauen. Das Wort Resilienz bedeutet allgemein die Widerstandskraft eines Systems gegen äußere Störfaktoren. Und Systeme mit größerer Vielfalt schneiden bei der Resilienz besser ab. Für Organisationen bedeutet das, dass es gut sein kann, wenn verschiedene Teams mit völlig unterschiedlichen Werkzeugen arbeiten. Das hat die Vorteile, dass jede Gruppe mit dem potentiell besten Werkzeug für ihren use-case arbeiten kann und dass beim Ausfall eines Werkzeugs oder einer Werkzeugkette schnell auf die andere des Nachbar-Teams gewechselt werden kann. Damit die Zusammenarbeit in der Organisation weiterhin gut klappt, ist es ebenfalls vorteilhaft, dass die Schnittstellen, an denen sich die Arbeit der Teams trifft, genau definiert werden muss. Mit diesem Wissen können Teams auch in Zukunft ihre Werkzeugketten schnell ändern oder anpassen.
Es gibt dazu viele Listen im Netz:

Aber das sind natürlich nicht alle, es finden sich im Netz leicht weitere. Bei der Bewertung solcher Listen ist es wichtig zu prüfen, ob sie überhaupt so wichtige Punkte wie Datenschutz, Anbieter*innenunabhängigkeit und Lizenzfragen betrachtet haben.

2.)  Welche Software kannst du empfehlen und warum?

Aufgrund der hohen Anzahl an Produkten, deren Funktionsweisen und Pfadabhängigkeiten bezogen auf die sehr unterschiedlichen Anwendungsszenarien und Randbedingungen (Netzwerk, Datensicherheit, Datenschutz, vorhandene Infrastruktur, …), möchte ich keine Ferndiagnose vornehmen und auf die genannten Listen verweisen. Jede Organisation sollte ihre eigenen Bedürfnisse herausfinden und danach prüfen, was es gibt und was zum eigenen Umfeld passt. Natürlich in Abstimmung mit internen oder externen IT-Fachkräften.

Vielleicht helfen hier Kriterien mehr als Produktempfehlungen, darum einige skizziert:

# Regelkonformität: Hält die Software sich an unsere Regeln, die DSGVO und das BDSG? Wo stehen die Server?

# Praxisorientierung: Ist die Software wirklich praktikabel?  Ist die Handhabung leicht erlernbar? Gibt es Handbücher in schriftlicher oder Videoform?

# Interoperabilität: Ist die Lösung mit allen geplanten Geräten verwendbar? Das können Lösungen sein, die im Browser arbeiten, weil diese auf PC, Laptop, Tablet und Handy laufen oder es müssen Apps für die Mobilgeräte von Apple und Google verfügbar sein.

Meist bleiben dann nur noch wenige konkrete Produkte oder Werkzeugkonstellationen in der engeren Auswahl. Diese müssen dann ausgiebig getestet werden. Es ist immer eine gute Idee, eine konkrete Person zu benennen, welche sich in das Thema einarbeitet und als zentrale/r Ansprechpartner/in allen bekannt ist, um Erfahrungen mit den verschiedenen Systemen zu notieren und bei Problemen und Fragen zu assistieren.

3.) Viele Nutzer*innen legen großen Wert auf Datenschutz, wollen oder müssen aber gleichzeitig kostenlose Angebote nutzen. Ist das denn vereinbar?

Wenn Nutzer*innen großen Wert auf Datenschutz legen, und Organisationen müssen es auch, dann dürfen sie viele Werkzeuge wirklich nicht nutzen. Oder nur in eingeschränkter Form. Also so, dass nur anonymisierte und unkritische Informationen darüber verwendet werden. Bestehende Regeln finden sich in der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und bei den Grundschutz-Standards des BSI. Auch aus diesem Grund bietet es sich an, zu versuchen Lösungen selber zu betreiben, bzw. lokale Anbieter*innen zu finden, welche die gewünschten freien Lösungen den hiesigen Gesetzen entsprechend betreiben. Die fachliche Kritik von Bürgerverbänden wie Digital Courage, dem CCC und den Datenschutzbehörden kann bei der Prüfung von Produkten dienen.

Das größte Problem ist die gedankenlose Verwendung der Produkte mit der einfachsten Handhabung. Wenn die/der Nutzer/in nicht bezahlt, ist sie sehr häufig nicht die Kund/in, sondern wird Teil des Produkts.

Freie Software fördern

Private Organisationen, genauso wie öffentliche, können zusammenarbeiten und gemeinsam Freie Software fördern, wie es 2019 auch im Koalitionsvertrag beschlossen wurde. Das kann dann sogar der lokalen IT-Wirtschaft nutzen, statt globalen Großkonzernen. Die Kampagne „Public Money, public Code“ der Free Software Foundation Europe bietet einen Einstieg in die Thematik und erklärt Hintergründe dazu.

4.)  Ist die Nutzung kostenloser Angebote sinnvoll?

Die Konzentration auf geringe Kosten oder rein kostenfreie Angebote ist grundsätzlich ein Fehler. Auch kommerzielle Anbieter*innen nutzen die Lage derzeit, um ihre Produkte langfristig zu etablieren. Wer es scheut, Geld auszugeben, zahlt häufig mit privaten Daten oder der Verfügbarkeit seiner Arbeitsmittel. Eine spätere Migration ist erfahrungsgemäß teurer. Statt kompatibel mit möglichst vielen anderen Anwendungen und leicht austauschbar zu sein, integrieren kommerzielle Produkte mit wachsender Beliebtheit oft immer mehr Funktionen in sich, um Nutzer*innen in eine stärkere Abhängigkeit zu bringen. Der so genannte Lock-in-Effekt.

Offene Instanzen verschiedener Programme nutzen

Aber mehrere Menschen bieten heute schon auf eigene Kosten offene Instanzen verschiedener Programme an. Das tun sie zum Teil einfach, um zu helfen und um die Bekanntheit der freien Produkte zu steigern gegenüber den kommerziellen. Dann gibt es oft auch sehr kleine lokale Softwareinfrastrukturanbieter*innen, die teilweise auf solidarischer Basis arbeiten und schnell helfen können. Und es gibt weitere Vereine die befragt werden können, wie lokale Freifunk Initiativen oder Anwender*innen-Gruppen (u.a. im Umfeld der Universitäten und Bibliotheken).

5.) Wovon würdest du eher abraten?

Whatsapp/Facebook, Google, Skype und Zoom sind Anbieter*innen, die teils schon lange, teils aktuell wieder in der Kritik stehen. Da hilft es auch nicht, eine seitenlange Datenschutzerklärung verfassen zu lassen.

6.) Hast du einen Geheimtipp oder einen persönlichen Hinweis?

Kein wirklicher Geheimtipp, denn seit die ersten Großcomputer auf die Welt kamen, gab es Fernarbeitsplätze. Früher war das der Normalfall. Erst mit der Revolution der Personal-Computer änderte sich das. Wir sehen die verteilte Herkunft heutiger Betriebssysteme noch an so Artefakten wie dem „Administrator“-Konto. Also so neu ist das Ganze nicht. Es gibt z.B. Städte, die seit fast 20 Jahren komplett auf Fernarbeit setzen wie Treuchtlingen. Die Software ist also da und kein Geheimnis.

Keine Angst vor Veränderung haben

Viele Institutionen, wie die staatlichen, unter denen sich auch die meisten (Aus-)Bildungsorganisationen befinden, haben bewusst mit der technischen Entwicklung nicht mithalten wollen. Es wurde extrem gemauert mit „Bloß keine Änderung! Das haben wir schon immer so gemacht.“-Argumenten und diffusen Ängsten vor Veränderung. Darum wurde auch keine aktuelle Technik in die Breite getragen, siehe der desaströse Breitband- und Mobilfunkausbau. Es wurde dementsprechend kein kollektives Wissen vom Umgang mit den neuen Techniken aufgebaut. Siehe „Das Internet ist für uns alle Neuland“ und der peinliche Digitalpakt für Bildungseinrichtungen.

Als erstes muss also, wenn noch keine digitale Arbeit möglich ist, über den eigenen Schatten gesprungen werden. Bedenken müssen formuliert und ernst genommen werden, aber auch Lösungen dafür gefunden werden. Es sollte sich auch eine wirklich offene Experimentierphase gegönnt werden. Am Anfang kann es nervig sein, aber möglicherweise nur so bekommen alle ein Gefühl dafür, was sie wirklich brauchen und was auch für alle funktioniert. Ist das geschafft, bieten die neuen Möglichkeiten mehr Freiheiten, auch über die aktuelle Krise hinaus.

7.) Wohin können sich Organisationen und Projekte wenden, wenn sie Beratung oder ganz praktische Hilfe beim Einrichten brauchen?

Jedes freie Softwareprodukt hat eine lebendige Community, sonst könnte es nicht gut und erfolgreich sein. Diese organisiert sich aber überall anders. Auf ihren Webseiten finden sich immer die Anlaufpunkte für Neu-Anwender*innen und die Entwickler*innengemeinde im Netz. Sehr weit verbreitete Lösungen haben manchmal auch schon lokale Nutzer*innengruppen. Diese können leicht in einer Suchmaschine gefunden werden. Ansonsten fallen mir konkret ein: Freifunk Dresden, das Datenkollektiv, die Linux User Group Dresden, die Hochschulgruppe Freie Software und Freies Wissen oder auch wir vom CCC/C3D2. Twitternutzer*innen können auch da mit dem entsprechenden Hashtag suchen oder Fragen stellen.

Auch freie kostenlose Software braucht ein Budget

Freie und kostenlose Software heißt aber nicht, dass diese keine Kosten verursachen. Es bedeutet nur, dass der Quellcode für alle einsehbar ist und eine Lizenz dessen freie Weitergabe und Veränderung regelt. Das heißt aber nicht, dass es keine Expert*innen benötigt, die diese auswählen, einrichten und betriebsbereit halten. Da es sich um zu
leistende Arbeit handelt, sollte auch ein Budget wie bei jeder anderen Problemlösung zur Verfügung stehen. Das Geld fließt aber nicht in ein einzelnes Unternehmen, sondern kann mit lokalen Spezialist*innen für die Organisation betrieben werden. Änderungen, die irgendeine Betreiber*innenorganisation auf der Welt nachrüstet, stehen beim nächsten Update auch allen anderen Organisationen zur Verfügung. Es stärkt also die lokale Infrastruktur und das auf globaler Ebene.

Über Robert Wartenberg
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Robert Wartenberg – Fachinformatiker, Software-Entwickler, Hardware-Bastler. Hält Vorträge und Workshops in Schulen und Universität und macht Politikberatung im Rahmen von Chaos-Macht-Schule. Ist Open-Data Aktivist im Open-Knowledge-Lab Dresden.Weitere Informationen: https://twitter.com/robtranquillo oder https://c3d2.de/whois.html

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Der Chaos Computer Club e. V. (CCC) ist die größte europäische Hackervereinigung und seit über dreißig Jahren Vermittler im Spannungsfeld technischer und sozialer Entwicklungen. Die Aktivitäten des Clubs reichen von technischer Forschung und Erkundung am Rande des Technologieuniversums über Kampagnen, Veranstaltungen, Politikberatung, Pressemitteilungen und Publikationen bis zum Betrieb von Anonymisierungsdiensten und Kommunikationsmitteln. Der Club besteht aus einer Reihe dezentraler lokaler Vereine und Gruppen. Diese organisieren regelmäßige Veranstaltungen und Treffen in vielen Städten des deutschsprachigen Raums. Der CCC vermittelt seine Anliegen über vielfältige Publikationswege und sucht stets das Gespräch mit technisch
und sozial Interessierten und Gleichgesinnten. Außerdem fordert und fördert er den Spaß am Gerät und lebt damit die Grundsätze der Hackerethik.