Interview mit dem Zukunftsstadt-Projekt „Essbares Öffentliches Stadtgrün“

Acht Bürger*innen-Projekte werden im Rahmen der Zukunftsstadt Dresden umgesetzt und wissenschaftlich begleitet. Sie sollen beispielhaft den Weg zu einer nachhaltigen und innovativen Stadt aufzeigen, die für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet ist. Diesmal stellen wir das Projekt Essbares Öffentliches Stadtgrün vor. Volker Croy und Paul Stadelhofer vom Projekt über wieder entdeckte Obstgehölze, dem Nutzen von Stadtgrün in Corona-Zeiten und wie Bürger*innen mit Hilfe des Projektes selbst zu Gärtner*innen werden.

Seit 2019  seid ihr ein Zukunftsstadt-Projekt. Stellt euch doch mal kurz vor. Wer seid ihr und was wollt ihr mit dem Projekt erreichen?

Volker: Wir sind Paul Stadelhofer und Volker Croy vom Stadtgärten e.V.. Wir wollen mehr Bürger*innenbeteiligung in der Gestaltung des Stadtraums und die Anpassung an die Interessen engagierter Bürger*innen sowie das Engagement und die erhrenamtliche Tätigkeit der Bürger*innen fördern. Wir wollen mehr essbare Pflanzen und somit mehr Biodiversität in der Stadt. Was gern übersehen wird: viele Obstgehölze kommen aus wärmeren und trockneren Gegenden und sind somit eine gute Alternative für die vom Klimawandel bedrohten Stadtbäume. Wir wollen überall was zum Naschen finden. Wenn man genau hinschaut, bietet die Stadtnatur auch schon jede Menge. Das fängt mit der Vogelmiere an, die man im Frühjahr für den Salat findet. An vielen Stellen wachsen Beeren wie Felsenbirnen, Kornelkirschen oder Maulbeeren, die wir aus dem Supermarkt nicht kennen. Viele dieser Sorten haben keine gute Lagereignung und sind daher schlecht für die industrielle Fertigung. Ihre Vielfalt bietet aber Bienen und anderen Insekten Nahrung und Unterschlupf. Sie enthalten Studien aus Berlin zufolge nicht unbedingt mehr Schadstoffe als das Gemüse oder Obst aus dem Supermarkt. Gerade bei Beerenobst ist der Schadstoff-Anteil einer Studie aus Berlin zufolge sogar deutlich niedriger als im Supermarkt. Wenn diese Sachen verbreitet werden, spart das Wege und bietet ein tolles Naturerlebnis in der Stadt. Es steigert auch die Resilienz in der Versorgung der Bevölkerung und Produktion und bietet einen Einblick in die Geschichte. Viele jetzt wieder entdeckte Obstgehölze wie Elsbeere und Maulbeere sind früher einmal neben der Versorgung der Bevölkerung auch wegen ihrer Trockenresistenz angebaut worden.

Paul: Genau. Mit dem Transformationsexperiment wollen wir aber vor allem nach vorne schauen, statt nur zu erfassen, was alles schief läuft. Aus der Statistik kann man nicht immer ableiten, was eine gute Entwicklung aus der Perpektive einzelner wäre. Wir halten uns relativ streng an die strategische Forschungs- und Innovationsagenda „Zukunftsstadt“ der Bundesregierung. Wir haben vor Jahren schon angefangen, uns mit essbarem Stadtgrün, Verwaltung und Beteiligung zu beschäftigen und fühlen uns mit der Agenda sehr wohl, weil sie viele unserer Beobachtugnen und Überlegungen gut zum Ausdruck bringt. Natürlich geht es uns in erster Linie darum, essbares Stadtgrün zu haben und überall essbare Pflanzen zu finden und zu verbreiten. Es geht aber um viel mehr. Nachhaltige Entwicklung kann für uns nur funktionieren, wenn auch die Menschen selbst einen Mehrwert von der Umwelt haben und deren Pflege gewinnbringend in ihren Alltag integrieren können. Mit essbarem Stadtgrün fängt man also mit einem Grundbedürfnis an und kann in viele Richtungen, wie Automatisierung, weiterdenken. Viele Expert*innen und Fachleute würden sich gerne stärker in die Stadtentwicklung einbringen und diese Kapazitäten zu verschenken, wäre ein grober Fehler in der Stadtentwicklung, der das Paradigma der Konsumgesellschaft nur reproduziert. In der Agenda der Bundesregierung ist das griffig zusammengefasst: Es geht um die soziokulturelle Qualität urbaner Gemeinschaften, Resilienz und Klimaanpassung und darum, dass zivilgesellschaftliche Akteure zum Treiber urbaner Transformation werden.

Warum ist gerade das Projekt Alberthafen für euch spannend?

Paul: Die Frage ist gut… Es ist eine von mehreren Flächen, die wir teils auf Anraten von Behörden, teils auf Wunsch von Anwohner*innen in die engere Auswahl für Modellflächen genommen haben. Viele Teile der Verwaltung machen sich Gedanken dazu, wie sich die Stadt besser entwickeln und belebt werden kann, auch wenn man das als Bürger*in nicht immer wahrnimmt. Am Alberthafen wurde seitens der Landeshauptstadt Dresden ein Teil des Geländes umfangreich saniert, ein Brunnen wurde gebohrt, ein Hügel zum Immissionsschutz aufgeschüttet und eben ein Garten angelegt. Das Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft hat uns die Fläche wegen früherer Projekte vorgestellt und wir konnten wunderbar daran anknüpfen. Verschiedene Initiativen aus der Friedrichstadt haben direkt positiv auf die Beteiligungsmöglichkeit reagiert und einige Anwohner*innen haben schon jetzt, bevor die Fläche eröffnet wurde, mit viel Eigenengagement und Durchhaltevermögen an deren Gestaltung mitgewirkt. Für uns ist das ein spannender Fall an Selbstorganisation und wir versuchen mit allen Beteiligten so genau wie möglich, die Maßnahmen und Entwicklungen zu dokumentieren.

Volker: Da muss ich widersprechen. Es wurde eine potentielle Gartenfläche vorbereitet: mit Wegen, Zwischenfrucht, Brunnen und sogar Werkzeugkisten. Ein Garten ist aber nicht angelegt, das müssen erst Menschen vor Ort tun. Die Fläche ist als Modellfläche interessant, da sie offen und für jedermann erreichbar ist. Kein Zaun trennt die Pflanzflächen vom Rest der Fläche. Der Spielplatz wird für das häufige Begängnis durch viele Familien sorgen. Wie werden sie auf den Garten reagieren? Beteiligen sie sich? Entwickeln sie ihn mit? Oder fragen sie nur, was das soll, um ihn dann zu ignorieren?
Werden sie das Angebot von dem öffentlichen Essbaren Stadtgrün, was dort entsteht und für alle offen ist, annehmen, ernten und mitgestalten?
Werden sie wie im Alaunpark mit ihren Kindern die Pflanzen gießen, weil Kinder so gern gießen?

Paul: Gut war also, dass wir auf Erfahrungen zurückgreifen und auch auf bestehende Angebote aufbauen konnten. Beispielsweise konnten wir etliche Sträucher pflanzen aber auch schon  Saatgutstipendien des Stadtgärten e.V. vermitteln und auf dessen Werkzeugverleih, der durch das Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft unterstützt wird zurückgreifen, um einen kleinen Grundstock an Werkzeugen auf die Fläche zu bringen. Einige Anwohner*innen sind sogar schon selbst in Vorkasse gegangen und haben zusätzliche Gartenkrallen und Spaten besorgt. In dem Sinn müssen wir sehr dankbar sein. 

Wie ist der derzeitige Stand?

Volker: Läuft soweit. Wir haben sogar einige gesetzte Meilensteine vor der vorgesehenen Zeit erreicht. Vorsichtig gesprochen sind vier Modellflächen schon in Arbeit.

Paul: Ja, läuft soweit. Einen aktuellen Stand zu fast zwei Dutzend Flächen haben wir schon online auf einer Karte zusammengetragen und wir freuen uns fortlaufend über neue Interessenten und Perspektiven, die sich auf den unterschiedlichsten Wegen ergeben.

Viele Projekte haben gerade große Herausforderungen zu bewältigen angesichts der Umstellungen, die die Corona-Pandemie mit sich bringt . Wie sieht das bei euch aus? Was bewegt euch gerade und wie geht ihr damit um?

Volker: Corona macht manches komplizierter, fördert aber auch neue Strukturen und passt das Verhalten an. Online-Meetings ersparen viel Fahrzeit. Verschiedene digitale Tools werden nun leichter verwendet. Natürlich gestalten sich Workshops mit Masken, Sicherheitsabstand und weniger Teilnehmer*innen scheinbar schwieriger, aber es sind eher Unannehmlichkeiten. Sie verhindern nichts. Und die Leute gehen – abgesehen von kleinen Ausnahmen – sehr vorbildlich mit der angespannten Situation um. Auch können Menschen, die den Supermarkt meiden wollen, durch unser Projekt, unsere Aktionen und das geteilte Wissen sich selbst befähigen und so viele essbare Pflanzen selbst finden und nutzen. So erweitert sich nicht nur das Wissen, sondern auch der Speiseplan und, da viele Wildgemüse gesünder sind als überzüchtetet Kulturformen, steigt auch die individuelle Gesundheit. Unsere Pflanzanleitungen bieten da einen ersten Einstieg.

Paul: Im Grunde können wir also dankbar für die momentane Besonnenheit sein und zugleich auf unsere Ansprüche eingehen. Beispielsweise ist uns Integration sehr wichtig. So arbeiten wir an integrativen Maßnahmen und konnten so ein bisschen stärker auf diese Dinge eingehen, was beispielsweise durch Lehrvideos mit Untertiteln oder Pflanzanleitungen, die für Screen Readers funktionieren, gewährleistet werden soll. Indem wir an diesen Dingen arbeiten, sparen wir uns auch Tätigkeiten, die früher vollkommen normal für Vereine und Ehrenamtliche waren. Beispielsweise das Abtippen von Teilnehmer*innenlisten, was Zeit frisst und wobei oft Fehler entstehen bzw. Leute nicht weiter in Kontakt bleiben können. Mit Messenger-Gruppen bei vertraulichen Anbietern oder Mailinglisten wird das besser und passt auch besser in den Alltag der Menschen.

Zukunftsstadt-Projekte werden von Bürger*innen geprägt. Wie können sich Dresdner*innen  bei euch einbringen oder euch unterstützen? 

Paul: Über Instagram, Twitter oder E-Mail ist es momentan am leichtesten. Bei ersten Flächen, wie dem Alberthafen, empfehlen wir direkt der Mailingliste des sich bildenden Teams zu schreiben. So sind alle auf demselben Stand und können sich dezentral bzw. selbst organisieren. An etlichen Stellen muss man uns aber auch gar nicht schreiben, wenn man nur einen Steckling für den eigenen Garten mitnehmen will oder Beeren erntet. Super sind natürlich neue Ideen und Ansätze, wie wir auch alle den Alltag in Institutionen verschönern oder auf neuen Wegen Lösungen für drängende Probleme in unseren Städten finden. Wer will, kann auch einfach einen Brief schicken, aber wir müssen uns in diesen Fällen mindestens zehn Werktage Bearbeitungszeit vorbehalten.

Volker: Selbst organisieren ist das Stichwort, wo es für die Bürger*innen interessant wird. Denn es sind nicht „unsere Projektflächen“, sondern Flächen der beteiligten Menschen. Wir unterstützen sie dabei nur beim Start beziehungsweise im Rahmen des Zukunftsstadtprojekts bis September 2021, wenn wir dann nicht gemeinsam Lösungen zur Verstetigung entwickelt haben. Langfristig sollen sie sich selbst um die Flächen kümmern. Und natürliche wollen wir mit unseren Erfahrungen und öffentlich geteiltem Wissen helfen, dass sich Bürger*innen eigene Flächen erschließen und gestalten. 

Weitere Informationen zum Projekt

Sachberichte

Wenn ihr euch über den Stand des Projektes informieren wollt, könnt ihr gern einen Blick in die Sachberichte werfen.

Social Media:

Kontakte: